Ohrenkuss: Arbeit

Ohrenkuss …da rein, da raus – ist ein Magazin, gemacht von Menschen mit Down-Syndrom, unter der Leitung von Herausgeberin Dr. Katja de Bragança. Und zugleich ein einzigartiges und vielfach prämiertes Projekt der downtown – Werkstatt für Kultur und Wissenschaft GmbH.

Es gibt 2 Ausgaben im Jahr, die man abonnieren kann, jeweils zu einem speziellen Thema. Die Vorbereitungen dazu sind intensiv, mit Workshops, Interviews, Recherche-Reisen, was gute Journalisten so machen. Die AutorInnen schreiben poetisch, mit einem feinen Witz und einer Portion Lebensweisheit. Die Hefte sind liebevoll gestaltet und auf hohem ästhetischen Niveau.

In unserem Blog stellen wir regelmäßig das neue Ohrenkuss-Magazin vor oder berichten über andere aktuelle Dinge aus dem Projekt.

Das neue Magazin ist natürlich im Abo erhältlich. Viel Spaß!

 

Dieses Mal ist das Thema Arbeit, ein Thema mit vielen Facetten. Im Heft finden sich wie immer viele schöne Ausschnitte aus dem Leben, die mir aus der Seele sprechen und Erzählungen und Eindrücke über und von den verschiedenene Arbeiten der Autor:innen. Aber es ist dieses Mal auch noch ein ernster Teil, den wir gerne ungekürzt voran stellen wollen: Der Umgang mit arbeitenden Menschen mit Behinderung ist immernoch ausbeutend.

 


 

 

Diese Ohrenkuss-Ausgabe hat das Thema ARBEIT. Ohrenkuss gibt es jetzt seit 25 Jahren und in dieser Zeit ist es unser zweites Heft zu diesem Thema. Das erste stammt aus dem Jahr 2000. Jetzt, 23 Jahre später, finden wir: Es ist Zeit, sich noch einmal mit diesem Thema zu beschäftigen. Denn: Viele Menschen wissen wenig bis nichts vom ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Sie wissen nicht, in welchen Berufen Menschen mit Down-Syndrom heute arbeiten können. Welche Chancen und Möglichkeiten sie haben und welche ihnen verwehrt bleiben. In welchen Bereichen sie eine Arbeitsassistenz brauchen. Oder ob sie ein Recht haben auf eine Stelle, die sie ernährt und im besten Fall auch noch glücklich macht. Darum reden bzw. schreibt Ohrenkuss darüber. Denn Arbeit ist ein Menschenrecht.

Seit 2015 gibt es in Deutschland den gesetzlichen Mindestlohn. Aktuell liegt er bei 12 Euro pro Stunde. Menschen mit Behinderung verdienen in einer Werkstatt aktuell einen Stundenlohn von 1,46 Euro. Im Durchschnitt kommen sie damit also auf einen Monatslohn von etwa 220 Euro. Wie kann das sein?

Mitarbeiter*innen einer Werkstatt sind keine Arbeitnehmer*innen. Sie arbeiten in einem sogenannten „arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnis“ auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Und somit gelten die gesetzlichen Regeln zum Mindestlohn für sie nicht.
Da aber der Verdienst in einer Werkstatt nicht ausreicht, um davon leben zu können, bekommen die meisten Werkstattbeschäftigten aufstockend Grundsicherung vom Amt oder eine Rente wegen Erwerbsminderung. Außerdem werden ihre Renten- und Krankenkassenbeiträge bezahlt. Zudem erwerben Menschen mit Behinderung in einer Werkstatt schon nach 20 Jahren einen Rentenanspruch. Bei einem Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt erlischt dieser Anspruch. Für die erhöhten Zahlungen in die Rentenkasse kommt die Bundesregierung auf, was eines der Argumente ist, um die geringen Werkstattlöhne zu rechtfertigen.

Seit Jahren setzen sich Aktivist*innen dafür ein, für ihre Arbeit fair bezahlt zu werden, sodass es ihnen möglich wird, ihren Lebensunterhalt selbständig zu verdienen. Diskussionen für ein faires Werkstattentgelt sind im Gange, bisher aber ohne Ergebnisse. Mit den beiden Hashtags #IhrBeutetUnsAus und #StelltUnsEin versuchen Menschen mit Behinderung auf diese Thematik aufmerksam zu machen, trotzdem gibt es wenig mediale Berichterstattung darüber und so bleibt der gesamte Diskurs von vielen Menschen unbemerkt.

In Deutschland sind Menschen mit Behinderung so gut ausgebildet wie nie zuvor. Sie besuchen inklusive Schulen, machen Ausbildungen und studieren. Trotzdem arbeiten gleichzeitig so viele Menschen wie nie zuvor in Werkstätten. Aktuell sind es 300.000 Menschen. Es sind Menschen mit Down-Syndrom, Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten, Menschen mit Körper- oder Sinnesbehinderungen oder, und das ist seit vielen Jahren die am stärksten wachsende Personengruppe, Menschen mit seelischen und psychischen Behinderungen.

Eigentlich gehört es zu den gesetzlich geregelten Aufgaben von Werkstätten, Menschen darin zu unterstützen, aus der Werkstatt heraus auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Dafür gibt es feste Quoten, die jedoch nur von den allerwenigsten Werkstätten erfüllt werden. Denn: Werkstätten sind auch Wirtschaftsbetriebe. Sie erwirtschaften in Deutschland aktuell 8 Milliarden Euro pro Jahr. Firmen wie Lufthansa, Afri Cola, Siemens, Volkswagen oder GEPA lassen Teile ihrer Produkte in Werkstätten fertigen oder verpacken. Und viele Kund*innen glauben, mit dem Kauf der Produkte würden sie Menschen mit Behinderung unterstützen. Das Gegenteil ist der Fall. Denn Werkstätten sind Sonderwelten ohne faire Bezahlung oder Aufstiegsmöglichkeiten.

Viele Menschen können sich nicht vorstellen, wie ein inklusiver Arbeitsmarkt ohne Werkstätten aussehen könnte. Dafür müssten sich Strukturen grundlegend ändern. Die folgenden Punkte würden einen Strukturwechsel erleichtern.

1. Auch heute scheint der Weg in eine Werkstatt der vorgesehene Regelfall zu sein.
Menschen mit Behinderung haben oft, trotz inklusiver Beschulung, keine Möglichkeit, einen Schulabschluss zu machen. Somit haben sie in der Regel auch keinen Zugang zu Ausbildungen oder Studium.

2. In allen Unternehmen gibt es Arbeiten, die Menschen mit Down-Syndrom übernehmen können. Dafür müssten innerhalb der Unternehmen Arbeitsgänge neu aufgeteilt werden. Vielleicht wird dann ein Job mit fünf Arbeitsschritten nicht mehr mit einer Person besetzt, sondern mit zwei oder drei Personen.

3. Menschen mit Down-Syndrom brauchen gute Arbeitsassistenz. Nicht nur temporäre Anleitung oder Trainings.
Manche Arbeitsbereiche können Menschen mit Down-Syndrom selbständig übernehmen. In anderen Bereichen brauchen sie Anleitung und Training, um diese Bereiche selbständig übernehmen zu können. Und in wieder anderen Bereichen sind sie auf qualifizierte Assistenz angewiesen. Bisher gibt es aber weder einen Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz noch eine Ausbildung für qualifizierte Assistenzen.

4. Menschen mit Down-Syndrom wünschen sich, wie alle anderen Menschen auch, eine gute Zusammenarbeit mit Kolleg*innen und ein gutes Arbeitsklima. Wenn Menschen mit Down-Syndrom auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden, sind sie oft die einzige Person mit Down-Syndrom im Unternehmen. Das ist ein hoher Druck und sehr anstrengend. Einfacher wird es, wenn in einem Unternehmen mehrere inklusive Arbeitsplätze geschaffen werden, sodass die Mitarbeiter*innen sich austauschen und Herausforderungen gemeinsam bewältigen können.

5. In den Arbeitsagenturen sehen und kennen Berater*innen oft nur die Option Werkstatt. Darum brauchen Menschen mit Down-Syndrom gute und unabhängige Beratung überall in Deutschland. Sie müssen über bestehenden Beratungsstrukturen informiert sein und diese selbständig in Leichter Sprache nutzen können.

6. Das System, in dem Menschen mit Down-Syndrom groß werden, ist ein Fürsorgesystem. Entscheidungen werden oft für Menschen mit Down-Syndrom getroffen, nicht von ihnen selbst. Institutionen glauben, Menschen mit Down-Syndrom beschützen zu müssen. Sie haben nicht die Möglichkeit, Fehler zu machen, zu scheitern, zu spät zu kommen oder sich umzuentscheiden. Mögliche Arbeitgeber haben im Alltag keinen Kontakt mit Menschen mit Down-Syndrom und trauen ihnen Jobs in ihren Unternehmen nicht zu. Strukturen müssen sich verändern, damit sich auch Einstellungen ändern können.

Arbeit in diversen Teams ist kein Luxus. Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Denkstrukturen und Perspektiven finden gemeinsam andere Lösungen und Ideen. So wie seit 25 Jahren im Ohrenkuss-Team. Gemeinsam können wir höher springen, tiefer tauchen und weiter denken. Die Forderungen, Pläne und Wünsche erwachsener Menschen mit Down-Syndrom zum Thema Arbeit kann man in diesem Heft lesen. Damit das auch an immer mehr anderen Orten gelingen kann.

Anne Leichtfuß

 


 

 

Die Bedeutung von Arbeit

Natalie Dedreux, handgeschrieben
Ich finde es wichtig eine Arbeit zu haben ohne arbeit geht nichts.

 

Johanna von Schönfeld, handgeschrieben
Arbeite Lebenslang und an mir an mir macht mir Spaß.
Spaß macht das Leben Lebe und Lache gerne. Für Menschen da sein nicht nur auf der arbeit.
Auf der Arbeit Qutsche Ich gerne über meine Urlaube.
Ich verdienne geld Geld verdiennen macht Erfolg und freude.
Wenn ich freude am Leben hab sollte man das Teilen.
Ausstrahlen wie der Sonnenschein
Ich als Sonnenschein bin schon seid 11 Jahren auf der arbeit. Mal hör ich, höre mal nicht. Meine Kollegen machen auch. Machen unser Ding auch Wenn Wir fleißig am arbeiten sind.
Lächeln wenn ich Lächle, lächeln die mich an. Gute Laune ist ansteckbar

 

Natalie Dedreux, getippt
Das nächste Problem: das dann das keine Inklusion bei der Arbeit gemacht wird. Sondern es muss mehr Inklusion bei der Arbeit gemacht werden muss. Und wichtig ist noch zu sagen, wie wichtig es ist das man mehr mit uns Menschen mit Behinderung mit zusammen auch Menschen ohne Behinderung zusammenarbeiten und mehr miteinander und mehr voneinander gut zusammen lernen und miteinander gut zusammenarbeiten kann. Weil das zeigt das die Diversität wichtig ist.

 

 

Achim Reinhardt, handgeschrieben
Thema Arbeit / Basteln, Handarbeit / Werkstatt, Holzarbeit / Bauarbeit, Garten Arbeit / Computer Arbeit / Buch Autorin Arbeit / Handels Arbeit / Ohrenkuss Arbeit, Büro Arbeit /
Yoga Arbeit Studio Trainerin / Vogue Mode Arbeit / Metall Arbeit / Arzt und Ärztin Arbeit / Sport Arbeit / Druckerei Arbeit / Ton Studio Arbeit / Fitness Studio Arbeit

 

Das Drumherum der Arbeit

Conny Albert, diktiert
Ich finde es toll, dass ich einen Arbeitsplatz für mich alleine habe. Da kann ich mich konzentrieren und mach weniger Fehler.

 

Lina Hagemann, getippt
Ich kann mit Geldkarte und Pin bezahlen. Geld von Arbeit kommt auf Konto. Café Sofa gibt Gehalt an Werkstatt. Bekomme nur wenig davon ich. Schade.

 

Johanna von Schönfeld, handgeschrieben
Verdienen – Geld
Nette Arbeitskollegen
Fleißig sein Immer
Komme gerne zu arbeit
Mache am Liebsten Feierabend
Feierabend ist feierabend
Gute Arbeit habe ich
Gute laune mit Kollegen Qutschen
krank sein ist krank
Fehler gehören zu arbeit
Arbeit ist arbeit

 

Die verschiedenen Jobs

Martin Weser, diktiert
Ich würde als Chef aus Westerwald anfangen wollen.
Das ist meine Fantasie.

 

Lina Hagemann, handgeschrieben
In der Corona-Zeit war ich lange allein zu Hause. Ich habe eine Bäckerei für Freunde und Nachbarn aufgemacht „Linas Bäckerei“. Die Bestellungen habe ich in einer WhatsApp-Gruppe „Linas Bäckerei“ gelesen und in einen Plan eingetragen. Jeden Tag habe ich gebacken: Hafer-Dinkel-Quark-Brötchen, Schokokirschkuchen, Erdbeertorte oder Rotkäppchentorte. Dann habe ich alles mit dem Fahrrad ausgeliefert. Die Rezepte und Hygiene habe ich mit meinen Eltern vorher geübt. Dann konnte ich es allein. Ich möchte noch ganz viel lernen: neue Rezepte und wie ein Restaurant funktioniert. Ich liebe das Zubereiten von Speisen.

 

Ansgar Peters, getippt
Ich habe einen Traum Arbeit ich habe viel zu Schweizen die Alten Züge Reparieren und Lokomotiven auch. Es macht Spaß.

 

Conny Albert, diktiert
Ich arbeite an der Verkehrspolizei-Inspektion in Erlangen.
Ich bin als Schreibkraft tätig. Ich schreibe und erfasse Dokumente.
Das nennt sich Erfassungsbelege oder Vernehmungen. Die schreibe ich.
Ich habe eine drei-jährige Ausbildung beim Zoll gemacht, als Fachangestellte für Bürokommunikation. Ich arbeite seit dem 12.12.2011. Also schon fast 12 Jahre.

 

Maria Trojer, handgeschrieben und abgetippt
Ich wollte schon immer mit Kindern arbeiten, auch wenn es anstrengend ist, denn es fühlt sich gut an. Es gibt immer was zu tun, so wird es nie langweilig. Träume können wahr werden, mein Traumjob ist in Erfüllung gegangen. Nun arbeite ich schon 14 Jahre im Kindergarten und kenne mich gut aus, wo alles hingehört.
Finde es toll, dass ich den Beruf ausgewählt habe. Ich habe sehr viel Kontakt unter Kolleginnen und bin umgeben von all den Kindern und Leuten, die ich gerne mag und die mich auch mögen.
Habe meinen Traumjob gefunden.

 

Verena Elisabeth Turin, getippt
LIEBE MENSCHEN VON DEUTSCHLAND!
MEINE TRAUMJOBS WÄREN SEHR VIELE VON MIR:
SOLL ICH ES EUCH ERZÄHLEN ? WENN JA, DANN MACHE ICH ES:
ALSO ICH WOLLTE SCHON LÄNGER EINE SEHR BERÜHMTE SÄNGERIN AUF DER BÜHNE ZU SEIN.
DAS WOLLTE ICH SCHON DAS FRÜHER WERDEN. ICH MAG DIE BÜHNENARBEITEN SO GERNE.
FRÜHER WOLLTE ICH IN EINEM KRANKENHAUS DAS MITTAGSESSEN AN DIE ÄLTEREN MENSCHEN VERTEILEN. UND DAS ZIMMER VON IHNEN ZU PUTZEN. UND AUCH MEDIZIN IN DER ABTEILUNG VON DEN EPILEPTISCHEN MENSCHEN DIE ANFÄLLE HABEN STUDIEREN

 

Und natürlich der Feierabend

Julian Kruse, getippt
Ich komme Nachmittag nach hause dann bin ich müde und lege mich erst in die kalte Dusche dann ins Bett.

 

Johanna von Schönfeld, handgeschrieben
Ich mache sehr gerne Feierabend Feierabend ist für mich Feierabend. Feierabend ist Feierabend. Arbeit war Arbeit.

 

 


… mongolisch ist mongolisch und klingt wie mongolisch …

Ohrenkuss …da rein, da raus, das Magazin, gemacht von Menschen mit Down-Syndrom gibt es seit fast 20 Jahren.
Das Projekt ist einmalig auf der ganzen Welt und mehrfach preisgekrönt.
Es erscheint zweimal jährlich – mit jeweils einem Thema, Texten der bis zu 50 AutorInnen mit Down-Syndrom und professionellen Fotos, und man kann es abonnieren: https://www.ohrenkuss.de
Im August 2010 wurde das Bundesverdienstkreuz dafür an Gründerin Katja de Bragança verliehen – der Bericht ist hier: Ohrenkuss: Verdienstkreuz am Bande

 

Fotos: Maximilian Gödecke,  Text und Fotos © Ohrenkuss

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