Rückblick 2022

Neue Produkte mit Ursprung in der Corona-Krise: Tannen-, Kiefern- und Fichtennadeln. Trend kam aus den USA. Ein neues Feld und willkommenes Einkommen für das Wildsammlungsprojekt in Kroatien. Der Fotograf gab dem Bild den Titel “Widerstandsbewegung”.

 

Rückblicke auf 2022

 

2022 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Corona war noch Thema, und on top: der Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen.
Für uns als Importeur und Hersteller bedeutete das: eine schwierigere Warenbeschaffung und höhere Preise. Auch aufgrund der hohen Inflation in Deutschland hatten wir ca. 20% Umsatzrückgang, was unseren Betrieb aber zum Glück erstmal nicht so gefährdet hat, wie einige andere Öko-Firmen.

Was uns sehr beschäftigt, ist das Roll Back bezüglich Bio in der EU. Gute Ideen und Maßnahmen werden entweder rückgängig gemacht oder durch Über-Bürokratie torpediert. Als hätten zu viele Lobbykräfte im Hintergrund das Ziel herausgegeben: „Bio sind die neuen Globuli“, alles Placebo.

 

Die neue EU-Bio- Verordnung hat z.B. unsere Import-Nachlaufkosten verdreifacht, und stellt ein unkalkulierbares Risiko (Deklassifizierung durch geringste Dokumentenfehler) für kleine mittelständische, europäische Importeure sowie für Drittland-Bauern dar. Der Satz: „wir exportieren besser nur noch in die USA“ fiel schon mehrfach.

 

Massive Kräfte in der EU-Kommission versuchen seit neuestem, von der errungenen Prozessorientierung wieder zur Rückstand-Ergebnisorientierung in der neuen EU-Verordnung zu kommen. Das bedeutet, es sei nicht wichtig, was der Bio-Betrieb macht (dass er keine Pestizide/ Mineraldünger in die Umwelt bringt etc.), sondern nur, was am Ende analytisch gemessen wird. Bei unserer letzten Biokontrolle im Dezember hatten wir eine lange Diskussion mit unserer Kontrollstelle – sie teilte uns die neue (bisher nur mündlich verordnete) Regelung der EU-Kommission mit, es müsse jeder Rückstand, auch unter BNN-Orientierungswerten, gemeldet werden (in der Realität führen diese Meldungen in das EU-Bio System OFIS zu monatelangen Sperrungen sowie meistens zur „vorsorglichen“ Deklassifizierung gesamter Ernten in Drittländern, auch wenn die Bio-Konformität im Ursprungsbetrieb von der dortigen Kontrollstelle bestätigt wird. Auch wenn es keiner hören will: die EU-Bürokratie befeuert in großem Umfang so die Lebensmittelvernichtung von Bio-Produkten).

Wir haben uns schlussendlich darauf einigen können, weiter nach Absatz 27 der EU-Bio-Verordnung zu verfahren. Dort ist gesetzlich geregelt, dass wir die ersten Prüfungen und Bewertungen selbst vornehmen und erst bei offensichtlichem Betrugsverdacht Meldungen machen (zu unseren Sorgfaltsmaßnahmen zählt u.a. natürlich auch die langjährige, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Lieferantenpartnern).

Im Jahr gehen ca. 1500 Pestizidanalysen durch unsere Hände – ca. die Hälfte weisen Pestizidspuren im niedrigsten (gerade noch messbaren) Bereich auf. Dr. Günter Laach im wissenschaftlichen Beirat des BNN-Trockenmonitorings (wir sind Gründungsmitglied) bringt es auf den Punkt: “Bioprodukte können nicht sauberer sein als die Umwelt, in der sie wachsen.” Dazu der Punkt des Pestizidberichts 2022:  Seit 1990 hat sich der Pestizidverbrauch weltweit um 80% erhöht… (Pestizidatlas 2022).

 

Wir haben ein paar unserer Lieferantenpartner (Importeurskollegen, Kleinbauernprojekte, Bauern und Organisatoren, die Bauern vernetzen, gefragt: Wie ist es ihnen im alten Jahr ergangen? Wie ist das Resumé? Was ist Gutes passiert, und was war schwierig? Hier die ersten Antworten (weitere folgen):

 

Klima-, Energie- und Kostenunsicherheit

 

Bei unseren deutschen und europäischen Lieferanten, Bauern und Betriebe, die die landwirtschaftliche Rohware von Vertragsbauern vernetzen und verarbeiten, ist die Energiesituation ein großes Thema. Sie ist nicht kalkulierbar („Glaskugellesen“, „Problem Herbst 2022 und Vorschau 2023 sind stark gestiegenen Kosten der Aufbereitung und Trocknung, die Energie kostet das 4 fache!“ und „2023: Kräuteranbau nur in Kultur und ca. Menge geplant, Preise sind nicht fixiert oder stabil, da keine Kosten der Herstellung kalkulierbar“). Sie wird einerseits nochmal zu einer neue Preisfindungswelle (ein schöner Kandidat für das Wort des Jahres) für die Ernten 2023 führen.

Andererseits sinkt in solch einer Krisensituation typischerweise die Qualität. Abnehmer sind auf der Jagd nach den günstigsten Einkaufspreisen, dafür muss für das Überleben der Anbau- und Aufbereitungsbetriebe an Technologien und anderen Qualitätsaufwänden gespart werden (Beispiel: „der Mehrwert des im inertem Gas N2 vermahlenen Produktes (lange Stabilität, langes MHD, nat. Konservierung der Fette & Öle), ist nicht mehr beim Kunden preislich durchzusetzen“). Als letztes wird dann (seitens der VerbraucherInnen) an Bio gespart werden. Das Schlimme ist, dass dabei auch Wissen verloren geht – aufwendigere Anbau- und Verfahrensmethoden – zugunsten des kurzfristigen Preisvorteils.

 

Deutlich wird, dass die Trockenheit in Deutschland ihren Tribut fordert. Es wird mehr Bewässerung benötigt. Gewürze wie Kümmel und Koriander, sowie Kräuter haben es in ehemals typischen Regionen schwerer, der Anbau wandert Richtung Osten. Solidarität mit den Vertragsbauern: „im Anbau zahlten wir freiwillig 10 – 20 % mehr den Anbauern ohne Beachtung der Anbauverträge und vorliegenden Verkaufskontrakte! Angedacht ist eine weitere Zahlung nach Bilanzierung der Mehrgewinne im März 2023“.

 

Neu EU-Bio-Verordnung – Risiken, Unsicherheiten

 

Dass die neue EU-Bio-VO zu unkalkulierbaren Schwierigkeiten bei Drittlandimporten führt – dem stimmen uns unsere Importeurskollegen aus DE und NL zu. Das Verfahren ist so kompliziert geworden, und es fehlen in der VO „Heilungsmöglichkeiten“ von Bürokratie-Fehlern, die überhaupt nicht die Bio-Qualität der Ware berühren. Freigabeprozesse werden verzögert, die Ware liegt Wochen bis Monate im Hafen oder Zolllager, was die Kosten explodieren lässt.

 

Unser Teelieferant seit Jahrzehnten, der maßgeblich zur Förderung des Bioanbaus im Teebereich beigetragen und auch das Projekt Fairbiotea initiiert hat, schreibt sehr ausführlich über das vergangene Jahr und auch über das Thema Drittlandimporte von Bio-Tee:

 

„Nicht nur gestörte Lieferketten durch Lockdowns in (hauptsächlich) China haben Verfügbarkeiten und Produktionsplanungen durcheinandergewirbelt, auch bringen drastisch erhöhte Liefer- und Abwicklungszeiten durch fehlende LKW-Fahrer:innen, oder Stau vor Seehäfen andere Kostensteigerungen mit sich. Durch Zollprüfungen und Bio-Kontrollen am Ort der Einfuhr, wurden teilweise Lebensmittel im Wert von 80.000,-EUR über Monate (!) gestoppt und überprüft. Es geht nicht nur, aber auch um Geld, aber eben auch um Planbarkeit und Verlässlichkeit.“

 

Er geht auf das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ein, das am 1.1.2023 in Kraft getreten ist, und zunächst für Betriebe mit über 3000 Mitarbeitern gilt. Wir haben schon öfter darüber geschrieben (https://www.heuschrecke.com/globaler-sueden-und-globaler-markt/). Aus einem unserer Infos: „Zertifikats(un-)kultur: Infolge des neuen Lieferkettengesetzes werden durch den Lebensmittelhandel Mengen an Informationen und Dokumentationen gefordert, die sinnvoll nur in weiteren Zertifizierungen zu bündeln sind. Die Ankündigung des Handels: „Aber die Preise müssen stimmen.“  Für Kleinbetriebe ist das zeitlich und finanziell nicht zu stemmen, für Bauern (die natürlich auch geprüft sein müssen) erst recht ruinös. Wir sind gespannt, aber auch besorgt, wo das für Kleinbetriebe hinführt, denn mitmachen müssen sie, sonst werden sie ausgetauscht. Auch das Machtgefälle beunruhigt uns, denn das Misstrauen geht von den ehemaligen (jetzt EU-) Kolonialmächten gegen Drittländer (exKolonien) aus. Warum sollte ein tansanischer Bio-Bauer mit wenigen Angestellten deutschen Konzernführern mit einem mehrhundertfachem, höherem Gehalt sein Lohngefüge und seine Ethik offenlegen? In den Fällen, wegen denen das Gesetz überhaupt gemacht wurde, ist sicher eine Orwellsche Total-Überwachung notwendig.“

 

Unsere Importeurskollegen bestätigen unsere Einschätzung und haben bereits jetzt mit den Anforderungen zu kämpfen, obwohl es für ihre Betriebe aufgrund der kleineren Betriebsgröße nicht gilt: „Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz unterstützen wir idealistisch, jedoch ist es aufgrund unkonkreter, verallgemeinernder Formulierungen unabwägbar, welche Konsequenzen uns bei eventuellen Anschuldigungen drohen. Die schlimmsten Formen der Ausbeutung können wir mit unserem Handeln sicherlich ausschließen, aber die Begriffe „faire/angemessene Bezahlung“ oder „Ausschluss von Diskriminierung“, als auch „Gleichheit der Geschlechter“ sind Worthülsen, die man vielleicht in einem Philosophiestudium erörtern könnte. Trotz dessen, dass wir „eigentlich“ gar nicht vom Gesetz erfasst sind, landet unser Tee dennoch in irgendwelchen Regalen, sodass die Umsetzung des Gesetzes vom LEH oder anderen Akteuren auf die Importeure abgewälzt wird. Dabei liegt der Fokus in Wahrheit nicht auf „der gesamten Lieferkette“, sondern auf den Anfängen der Lieferkette: nämlich die Teeplantagen in Indien und Afrika. Das LKSpG ist damit zu einem rechtlich-bürokratischen Monster geworden, das irgendwo unter dem Bett lauert, niemand aber weiß, wie es aussieht und was es mal tun wird.“

 

EU-Rückstandspolitik, Entwicklungen

 

„Weitere rechtliche Anforderungen an Tee-Rohwaren, die es nirgendwo sonst auf dieser weiten Welt gestellt werden, haben uns auch im vergangenen Jahr ereilt. Somit dürfen nur noch eine bestimmte Menge an PA’s in der Ware erhalten sein, als auch werden wir in Kürze erleben, dass das natürlich vorkommende Nikotin nur noch zu 0,50mg/kg enthalten sein darf. Auch MOSH/MOAH Höchstmengen werden auf Grund einer Studie in Diskussion gestellt.“ (Anm.: Höchst- und Grenzwerte werden in den einzelnen EU-Staaten unterschiedlich interpretiert, außerdem ist die Forschung immer ein Stück weiter und interpretiert einzelne Stoffe als natürlich gegeben oder fehlinterpretiert, die von der EU-Kommission dann jahrelang noch als z.B. Pestizid bewertet werden. Auch zu MOAH sagt unser Labor: „Man weiß eigentlich gar nicht, was genau man da misst“. Gemeint ist – ob natürliche Inhaltsstoffe, unbedenkliche Stoffe aus dem Boden, oder tatsächlich Kontamination mit Erdöl …)

 

„Die Problematik besteht aber nicht nur in den Grenzwerten, sondern in der Konsequenz: Mehr und teurere Analysen, Ausselektion von Rohware und Stornierung von langfristigen Lieferbeziehungen. Dabei können Hersteller in der dritten Welt keine unvermeidbaren Kontaminationen vermeiden, denn sie sind… unvermeidbar. Man fragt sich, ob wir in Europa, und damit das westliche Europa vorne an, nicht vollkommen den Verstand verloren haben. Nicht eine einzige Bratwurst auf dem Grill wird hinterfragt (Anm.: Anthrachinon, PAK), kein Feuerwerkskörper, Alkoholkonsum und Zigaretten, Autofahren: don‘t touch it… aber der grüne Tee, da liegt die tödliche Gefahr. Wir haben aus Malawi und Süd-Indien nun E-Mails erhalten, dass sie die Produktion für uns einstellen werden, denn die Anforderungen sind einfach nicht einzuhalten und/oder werden nicht entlohnt.“

 

“Der Bedarf an bestimmten Teesorten wie zum Beispiel hochwertige China-Grüntees, oder auch Klassiker wie Darjeeling ist dramatisch runtergegangen”, was die Existenz der Teegärten bedroht.

 

“Die neue Bio-Verordnung und einhergehende Artikel 28/29 wurden von uns in diversen Gremien beackert und wir haben, zum Beispiel gemeinsam mit der AöL, an einem Orientierungspapier gearbeitet, damit sich Unternehmerinnen daran entlanghangeln können. Ob dies rechtssicher ist? Nobody knows. Wir erhoffen uns einen Präzedenzfall. Substanzen in Trockenprodukten bleiben weiter ein großes Problem.” (Anm.: alle Höchstwerte beziehen sich auf Frischprodukte. In getrockneten Produkten werden Rückstände sichtbar, die im selben Frischprodukt nicht gemessen werden können. Üblicherweise wird dann zur Bewertung der Trocknungs/Verarbeitungsfaktor abgezogen – manche EU-Staaten, aber auch ‚Öko‘-Kunde verweigern das.)

 

Aus der Sicht eines Drittlandes – : Review of the past year

 

Mit dem Kleinbauernprojekt PDS / Sahyadri Spice Farmers arbeiten wir schon seit Jahrzenten zusammen. Sie schreiben:

 

„We faced EU certification last year, and EU delisted our CB from the farm level, and then from the process level as well. We had faced several difficulties in completing the audit process and related issues and delays. We are attempting to resolve our certification mess, currently working with three certification bodies rather than one since 2022.All three certifying bodies have completed their audits, and we are in the process of clearing the non-conformities. We should be back on our feet by the middle of January with all certificates’ scope validated. This was the main issue we faced in the last year.“

 

„Letztes Jahr wurden wir mit der EU-Zertifizierung konfrontiert, und die EU strich unserer Kontrollstelle die Zulassung für den Bereich Anbau/ Landwirtschaft und dann auch für den Bereich Verarbeitung. Wir hatten mehrere Schwierigkeiten beim Abschluss des Auditprozesses und damit verbundene Probleme und Verzögerungen. Wir versuchen, unser Zertifizierungsproblem zu lösen, indem wir seit 2022 nicht mehr mit einer, sondern mit drei Zertifizierungsstellen zusammenarbeiten. Alle drei Zertifizierungsstellen haben ihre Audits abgeschlossen, und wir sind dabei, die Nichtkonformitäten zu beseitigen. Bis Mitte Januar sollten wir wieder auf den Beinen sein und den Geltungsbereich aller Zertifikate validiert haben. Dies war das Hauptproblem, mit dem wir im letzten Jahr konfrontiert waren.“ (Anm.: Die EU-Kommission hat vier großen Ökokontrollstellen die Zulassung für Indien entzogen, nachdem auf dem EU-Markt mit ETO-belastete Sesamsaat auftauchte. Der Entzug der Zulassungen wird kritisch gesehen, da vor allem die Lebensmittelkontrollen der indischen als auch der EU-Behörden versagt haben. Die ETO-Belastung betraf konventionell und bio. Die Belastung in Spuren entsteht auch durch kontaminierte Container, was vor allem im Bio-Bereich Probleme macht.).

 

Was war gut in 2022?

 

Hier eine Aufzählung:

 

Die Digitalisierung wurde verbessert. Mehr Home Office und Video-Konferenzen sind echte Fortschritte.

„In der Einkaufspolitik haben wir in Krisenzeiten erlebt, auf welche Partner:innen man sich verlassen kann und wie gegenseitige Verhandlungen aussehen können und müssen. Versorgungssicherheit gewährleisten und Beschaffung sichern waren Kompetenzen, die ihren Wert steigern konnten. Partnerschaft und Routine ist die vorausgehende Basis.“ (Anm.: Das können wir bestätigen.)

Betriebe haben sich breiter (krisensicherer) aufgestellt: „die breite Aufstellung im Sortiment, die flexiblen umfangreichen Verarbeitungsmöglichkeiten, gepaart mit neuen Gedanken und Willen der Mitarbeiter, haben uns 2022 neue Geschäftsfelder bzw. Produkte eröffnet, wir werden versuchen dies in 2023 mitzunehmen.“ Oder es wurden neue Kundengruppen gewonnen.

„Fazit: wir klagen nicht, uns geht es im Vergleich immer noch gut, die rosarote Brille setzen wir nie auf, wir sind zäh und wollen ……so das Motto 😊“

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert