Thema: Existenzsichernde Löhne und Preise
Living Wages, ILO, Lieferkettengesetz
Wir erhalten Anfragen, ob wir existenzsichernde Preise an Lieferanten des globalen Südens bezahlen und wie wir sie berechnen.
Seit ca. 2020 veröffentlichen verschiedene LEHs Erklärungen zu existenzsichernden Löhnen in ihren Lieferketten innerhalb ihrer Nachhaltigkeitsstrategien und betreiben Marketing damit. Erste Projekte laufen im Bereich Bananen. Das ist von einer oligopolistischen Käuferstruktur, die oft auf exklusive Strukturen (oder sogar eigenen Landbesitz) zurückgreifen, gut zu kontrollieren und zu steuern. Weitere brisante Themengebiete sind Kaffee, Kakao und Textilien.
Existenzsichernde Löhne sind auch Thema des neuen deutschen Lieferkettengesetzes.
Existenzsichernde Löhne und Einkommen (Living Wages) für den globalen Süden werden z.B. von westlich gegründeten Zertifizierungsgesellschaften und -verbänden im Bereich Fairer Handel ermittelt; es gibt verschiedene Ansätze hierzu.
Diese Zertifizierungen müssen alle Handelsstufen, auch die Bauern, mitmachen. Die Kosten sind von den Bauern selbst zu tragen. Sie müssen zudem ihre Verhältnisse so offenlegen, dass es in Deutschland wahrscheinlich den Datenschutz verletzen würde. Die Zertifizierungen sind leicht zu verlieren, und die Bauern tragen das Risiko, wegen der entsprechend höheren Preise Bestands-Kunden zu verlieren – denn die Abgabe-Preise müssen trotzdem stimmen (dazu gibt es schon ‚Geschichten‘).
Globaler Markt und Markt-Machtgefälle
Bezeichnend ist, dass existenzgefährdende Löhne bzw. Einkommen im „Globalen Süden“ dabei nicht auf die jahrhundertlangen ausbeuterischen Praktiken (Kolonialismus, Sklavenhandel, Landgrabbing, Kapitalismus, Lebensmittel als Spekulationsobjekt) zurückgeführt werden, sondern auf zu niedrig angesetzte oder nicht kontrollierte Mindestlöhne seitens der Drittland-Regierungen.
(Hintergrund-Info: Die ILO ist verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung internationaler Arbeits- und Sozialstandards. Im Jahr 2021 haben 138 ILO Mitgliedsstaaten alle Kernarbeitsnormen ratifiziert, weitere 49 haben zumindest das Übereinkommen zur Kinderarbeit angenommen. Insgesamt sind 187 von 195 Staaten Mitglied der ILO. Nicht-Mitglieder sind Andorra, Bhutan, Liechtenstein, Mikronesien, Monaco, Nord-Korea (DPRK) und Nauru. (Stand 2021))
Es ist richtig, dass als Antwort auf das unabänderlich scheinende Markt-Machtgefälle Fairtrade-Verbände gegründet wurden und nochmal viele Jahre später ein Lieferkettengesetz entstanden ist, obwohl auch dies aus westlicher Sicht geschieht. Genauso richtig ist, dass marktmächtige Konzerne das Thema endlich konzertiert angehen. Denn es ist überfällig, die globalen Markt-Strukturen gemeinschaftlich und gerecht zu gestalten. Schöner wäre vielleicht, wenn der globale Süden die multinationalen Konzerne (Erdöl, Bodenschätze, Energie, Agrarindustrie) aus ihrem Land werfen oder deren Macht beschränken könnten und selbst diese Unternehmen so betreiben würde, um mit den Einkünften den Lebensstandard (und Kaufkraft) der eigenen Bevölkerung zu befördern.
Wie kaufen wir ein?
Durch unsere Importtätigkeit im Bereich Bio-Gewürze und -Tee sind wir nahe am Ursprung. In unserem Bereich sind die Lieferketten sehr kurz. Wir sind ein kleines mittelständisches Unternehmen mit einer hohen Spezialisierung von gut 500 Rohstoffen, die von uns weiterverarbeitet (Mischen, Mahlen, Abfüllen) werden. Durch unsere Bevorzugung von Kleinbauernstrukturen haben wir es geschätzt mit 40.000 Bauern und Menschen zu tun.
Ein Überblick über unsere Einkaufs-Strukturen
- Direkteinkauf von selbstständigen „small scale“ und „medium scale“ Bauern und Bäuerinnen oder organisierter, biozertifizierter Wildsammlung (Bsp.: Deutschland, Europa, Tansania)
- Eigenimport von organisierten Kleinbauernprojekten – hier gibt es jeweils eine eigenständige Bauern-Assoziation und eine Verarbeitungs- und Exportfirma, teilweise durch eine NGO organisiert (Bsp.: Indien, Sri Lanka, Südafrika). Die Betriebe haben meist bereits eine überbordende Anzahl von (teuren!) Zertifizierungen für die verschiedenen Märkte des globalen Nordens (EU, USDA/NOP, JAS, Fairtrade, Fair for Life, Naturland, Demeter usw.)
- Direkteinkauf oder Einkauf über unseren langjährigen Teemakler aus bekannten Teegärten. All deren Tees sind aus sozial-zertifiziertem Anbau, obgleich sie und wir das Label nicht verwenden. Unser Teeimporteur schreibt: „Eventuell mag es sein, dass die Machtverhältnisse anderer Branchen durchaus anders gewichtet sind (Bananen zum Beispiel?), im Teehandel jedoch hat der Westen nur wenig Einfluss. Letztendlich werden Preise je nach Saison, Angebot und Nachfrage gebildet. Bei Tees aus China, Indien, Sri Lanka, Japan dominiert eher die viel wichtigere Inland Nachfrage die Preise. Bei Fairbiotea werden Preise bereits vorab gebildet, damit es zu keinem Preisverfall durch Überangebot kommt.“
Durch unsere aktive Unterstützung des Projekts „Fairbiotea“, erfahren wir, dass in China zum Beispiel durchaus höhere Löhne als alleinig der Mindestlohn ausgezahlt wird. Die Arbeit auf dem Feld und auf dem Land gilt als allgemein unattraktiv (wie auch in Europa!) und der Mangel an Fachkräften erfordert höhere Anstrengungen des Arbeitsgebers, was sich auch monetär widerspiegelt. Aber auch hier sind die Verhältnisse in jeder Region unterschiedlich.
- Beschaffung über langjährige, europäische Importeurs-Kollegen. Hier stammt die Ware aus verschiedenen Quellen, von festen (auch sozial-zertifizierten) Partnerschaften mit Bauern (-projekten) bis hin zur vergleichsweise anonymeren Bio-Ware von Drittland-Exporteuren. Zu letzteren erfahren wir dann – außer den obligatorischen Zertifizierungen – wenig Hintergrunddetails. Tendenziell suchen wir hier andere (funktionierende!) Herkünfte, jenseits der Anonymität…
Unsere Zertifizierungen und Mitgliedschaften
- nach EU-Öko-Basisverordnung VO (EG) Nr. 2018/848) und Demeter.
- Gründungsmitglied von „Trust Organic Small Farmers“ und seit Beginn Lizenznehmer von „Fairbiotea“.
- Verbandsmitglied AÖL und Teilnehmer des BNN Trockenmonitorings.
Wie funktioniert unsere Preisgestaltung?
Wir sind seit 1977 aus unserer Selbstdefinition / Branchendefinition für den ökologischen und ethischen Handel angetreten. Unsere gewählten Strukturen, unsere Lieferantenauswahl und unsere Einkaufstrategien, jeweils die höherwertige Ware zu wählen, und keine Preise zu drücken, sondern die benötigten Preise der Bauern zu akzeptieren, arbeitet möglichen Ausbeutungsstrukturen entgegen.
Als Kleinbetrieb, der teils selbst importiert, teils über Importeurs-Kollegen einkauft, haben wir natürlich überhaupt keine Kapazitäten, um die Löhne oder Einkommen der Bauern zu recherchieren und zu bewerten, zu auditieren und kontrollieren. Wie oben beschrieben, regeln wir das über die Lieferantenauswahl, gehen aber nicht in die Überwachung, oder fordern zusätzliche kostspieligen Zertifizierungen.
Wir gehen so vor, dass wir die Preise bezahlen, die die Kleinbauernprojekte oder die selbstständigen Bauern und Bäuerinnen als ihren Bedarf ausrechnen, und haben da auch offene und vertrauensvolle Verhältnisse. Preise und Bedürfnisse werden für jede Ernte neu besprochen. Typischerweise wechseln wir keine Lieferanten wegen Preisen und unterstützen im Gegenteil in Notsituationen. Wir haben einen guten Überblick über konventionelle und Bio-Marktpreise und sehen die von uns dazu im Verhältnis gezahlten Preise. Wir verstehen uns aber nicht als “Polizei”, die überwacht, welche Löhne die Bauern ihren Angestellten zahlen. Es sind selbständige Bauern, die nicht in paternalistischer Abhängigkeit von uns stehen.
Der in diesem Bereich von den Bauern genannte Preis (auch wechselnd in der Saison) ist für uns ein Datum. Wir verhandeln grundsätzlich nicht nach – ist auch nicht nötig, weil die Lieferanten aufgrund der jahrelangen Erfahrung wissen, dass wir auf das Marktgeschehen und die Erntemengen beobachtend agieren – es wird sofort der genannte, angemessene Preis vereinbart.
Wie oben angedeutet ist, kommt das Thema existenzsichernde Löhne im Marketing jetzt aus dem LEH, die im konkreten Verdacht stehen, gerade diese lieber nicht den Produzenten zahlen zu wollen, sondern eher alles tun, um nicht mehr für das Produkt zu zahlen, sondern weniger. Gerade dort, aber sogar auch bei größeren Bio-Branchenpartnern erleben wir eine Verweigerungshaltung, mit jeglichen Preissteigerungen mitzugehen. Mit unserer Philosophie, das zu zahlen, was ein Betrieb braucht, um jetzt gut und auch in Zukunft weiterarbeiten zu können, verlieren wir natürlich solche preisaggressiven Kunden bzw. verzichten lieber von Anfang an auf solche unfairen Akteure.
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