Hintergrund: Biotee – Fairbiotea

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Aktuelle Folgen im Bio-Teebereich: Klimawandel und soziale Situation

 

Unser langjähriger Teeimporteur Wolfgang Wilhelm berichtet uns ausführlich über das Tee-Erntejahr 2010 in Indien und China, und beschreibt anschaulich die problematische klimatische und soziale Situation.

Weiter unten ist sein Bericht in Ausschnitten zu lesen, doch zunächst möchten wir das neue Siegel Fairbiotea, das in Kürze auf einem Teil unseres Sortiments angebracht wird, vorstellen.

 

Der Hintergrund von Fairbiotea: Wegen der besonderen politischen und sozialen Lage in China ist die Beschaffung von zuverlässiger, fairer Bio-Ware von dort erschwert. Bekannt ist (siehe auch TAZ Artikel vom 3.3.2011 „Pestizide in Bioware aus China“, S.9), dass Bioware von dort aus den unterschiedlichsten Gründen häufig belastet ist, und deshalb eine aufwendige Analytik für Bio-Importeure notwendig ist.

Unseren Tee-Importeur, mit dem wir seit über 30 Jahren zusammenarbeiten, hat dies veranlasst, über den Bio-Standard hinaus ein “fairbiotea”-Qualitäts-Management-System zu schaffen, der die EG-Bio-Verordnung, besonders für den Teebereich, ergänzt und sicherer und transparenter für beide Seiten macht.

Das System ist auf praktisches Qualitätsmanagement ausgerichtet, und bietet kostenlose, qualifizierte Schulung und analytische Beratung für Bio-Tee Bauern.

Neben zusätzlichen Sicherheitsstandards hat das System die ökosoziale Entwicklung zum Ziel: Entwicklung von Nährstoffkreisläufen, Prämiensysteme zur Einkommensverbesserung und Motivation der Bauern, Abnahmegarantien, faire Preise u.v.m.. 

 

Zur Zeit ist das Fairbiotea-System in 4 chinesischen Teefarmen installiert, von denen wir schon einige Zeit bevorzugt Ware beziehen: die Qingshan-Farm in der Provinz Hunan, und die Farmen Hecheng, Xinayuan und Mingzhou in der Provinz Anhui.

Diese Tees werden ab Frühjahr mit nebenstehendem Logo gesiegelt.

Auf der Website http://www.fairbiotea.de werden für KonsumentInnen ausführlich Hintergründe erklärt und die Teefarmen vorgestellt.

 

Auch wenn es jetzt noch etwas dauert, bis das Logo im Handel präsent ist – die Teefarmen geben wir schon immer auf den Rücketiketten unserer Ware bekannt. Bei den 4 genannten Farmen ist auch unser noch-nicht-gesiegelter Tee schon nach Fairbiotea-Standard produziert. Darunter sind einige unserer Aktionstees: China Grüntee, China Sencha und Chun Mee in der grünen Tüte, sowie der Klassiker Temple of Heaven China Gunpowder, einige Jasmin-Teespezialitäten, einige gehobene Grün- und Weißtees, z.B. der neue White Monkey, und unsere aromatisierten Grüntees.

 

Das Konzept soll langfristig ausgeweitet werden, was nicht so ganz einfach ist: es erfordert für unseren Teeimporteur eine starke Präsenz vor Ort, und eine hohe Bereitschaft der Teefarmen, mitzumachen (kultureller Konfliktstoff ist vorprogrammiert). Die Kosten für das ganze Qualitätsmanagement-Gerüst inkl. Maßnahmen sind sehr hoch, sodass bei einer Teefarm natürlich entsprechende zuverlässige Mengen und Umsätze dahinterstehen müssen. Eine Zertifizierung dieses Systems ist geplant.

 

Natürlich entsprechen auch alle anderen Biotees unseres Sortiments der EU-Bio-Verordnung und werden lückenlos analysiert. Im Zusammenhang mit Gewürzen aus China hatten wir bereits einmal über den Umgang mit Pestiziden in der Naturkostbranche berichtet: Öffnet externen Link in neuem Fensterhttp://www.heuschrecke.com/blog/blog-post/2009/11/12/hintergrund-pestizide.htm

Und hier nun zum Erntebericht 2010:

Wolfgang Wilhelm beschreibt ein zurückliegendes Jahr, “das in Bezug auf die Warenbeschaffung ein ganz anderes Jahr ist als Jahre zuvor.”

“Das Jahr hatte viele Negativrekorde zu bieten. So hatten wir extremes Klima in Darjeeling und in Assam. Die Klimaveränderung scheint deutlich greifbar zu sein. Wenn im Frühling Feuchtigkeit und mäßige Temperaturen für einen guten First Flush Tee gewünscht sind, gab es sehr kaltes und sehr trockenes Wetter in Darjeeling. Ein Wetter, das nicht nur schlechtere Qualitäten und schlechte Erträge hervorbringt, sondern auch Pflanzenschädlinge begünstigt.

 

Im Sommer gab es dann dauerhaft zu nasses Wetter, während der Second Flush Darjeeling trockene und warme Temperaturen benötigt.

 

In den meisten Teeplantagen in Assam gab es einen extremen Befall von Helopeltis, der nur mit Pflanzenschutzmittel bekämpft werden kann. Die Erträge in Assam waren verglichen mit anderen Jahren sehr gering. Konventionell wirtschaftende Plantagen konnten ihre Produkte kaum noch in die EU vermarkten, weil die chemischen Rückstände nach der Schädlingsbekämpfung oft zu hoch waren und nicht mehr der Höchstmengenverordnung entsprachen.”

 

 

Ebenfalls in indischen Biotees wurden laut Wolfgang Wilhelm im letzten Jahr ungewöhnlich häufig Spuren von DDT und Endosulfan gemessen, meistens unterhalb der BNN-Orientierungswerte, den Warnwerten der Naturkostbranche. Nach damaligem jahrzehntelangem Einsatz von Pestiziden mit langen Halbwertzeiten (damals der Stolz unserer Chemie-Industrie – der Westen hat die Büchse der Pandora geöffnet  – wir bekommen nur zurück, womit der (ehemalige) Exportweltmeister jahrelang die Welt verseucht hat, eigentlich gerecht), sind ubiquitäre Spuren nicht mehr zu vermeiden, und werden fairerweise natürlich innerhalb der Orientierungswerte akzeptiert.

Wir bekommen die Problematik im Zusammenhang mit dem Klimawandel auch bei Kräuter- und Gewürzbauern mit. Durch den El Niña-Effekt mit seinen plötzlichen flutartigen Regelfällen werden z.B. Böden von konventionellen Feldern bis in die Biofelder hineingeschwemmt, was zur erhöhten Pestizidbelastung von Bioware führt. Bzw.: die konventionellen Nachbarn spritzen in Panik in diesen Zeiten auch wie verrückt gegen den wetterbedingten Schädlings- und Beikräuterdruck.

Weiter zur Ernte-Situation in China:

“Auch in China hatten wir im Frühling, nach dem ersten Austrieb der Blattknospen eine strenge Frostperiode, die fast die gesamte Ernte weißer Blattknospen vernichtet hat.

Danach folgte monatelanger Dauerregen, Überschwemmungen, Taifune.

 

Dennoch übernimmt die chinesische Regierung viele Anstrengungen im Rahmen des Programms gegen Armut die brachliegende Teeflächen wieder zu rekultivieren. Der Staat fördert z.B. private Investitionen und die Anschaffung von Verarbeitungsmaschinen in der Teeindustrie. de.wikipedia.org/wiki/Volksrepublik_China . So konnten im Jahr 2010 auf ca. 1,95 Mio. Hektar Teefläche 1.4 Mio. Tonnen Tee hergestellt werden; im Jahr 2005 dagegen waren es ca. 1,35 Mio. Hektar und nur 0,94 Mio. Tonnen Tee.

Pro Hektar  werden also durchschnittlich 700 kg Tee erzeugt. Das ist ein sehr geringer Ertrag. In anderen Teeanbaugebieten der Welt sind bis zu 5000kg pro Hektar möglich. D. h die chinesische Teeindustrie hat noch Optimierungsbedarf.

 

Trotz der Produktionssteigerung steht den bisherigen Exportmärkten immer weniger Tee zur Verfügung. Der Inlandsbedarf Chinas ist stark gestiegen. Andere Nationen in Afrika, Asien, Russland und Osteuropa sind zu mehr Wohlstand gekommen und importieren deutlich mehr Tee aus China. Grüner Tee aus China wird auch deutlich stärker von der Kosmetikindustrie benötigt, und die Pharmabranche benötigt grünen Tee zur Absorbierung von Wirkstoffen. Grüner Tee ist wegen seines guten Images als Gesundheits- u. Wellnessgetränk begehrt.

 

Die Teeindustrie in Indien und China  hat damit zu kämpfen, dass immer mehr junge Leute die Teefarmen verlassen und ihr Glück in den Städten suchen. Die Städte sind nicht nur Anziehungspunkt wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten, sondern auch deshalb, weil sie für junge Leute mehr Freizeitangebote bereithalten. In beiden Ländern nimmt die Landflucht zu.

 

So gibt es in China viele Teefarmen in denen nur noch alte Menschen leben, die oft die körperliche Arbeit nicht mehr verrichten können. Sowohl die Bauern in kleinbäuerlichen Strukturen als auch Betreibergesellschaften der Teeindustrie in der Plantagenwirtschaft sind mehr und mehr darauf angewiesen, Saisonarbeiter zu beschäftigen und zu bezahlen.

 

Die Arbeitsangebote in wirtschaftlich aufstrebenden Gesellschaften sind vielfältiger und größer geworden auch für Wander- und Saisonarbeiter und das Arbeiten und Leben in den Farmen während der Teeernte ist unattraktiv. So sind die Löhne in der Teeindustrie insbesondere in den Verarbeitungsfabriken explosionsartig gestiegen. Die Lebenshaltungskosten steigen jährlich in einem zweistelligen Bereich. Die Teebauern leben immer noch an der Armutsgrenze und die Einkommen aus der Teeproduktion beträgt meist nicht mehr als 500 Euro im Jahr. 

 

Für den nachhaltigen biologischen Anbau  sind hohe und langfristige Investitionen nötig, die ebenso wie deutlich bessere Einkommen der Teebauern und der Saisonarbeiter aus den Teepreisen finanziert werden müssen.

 

Der Export in die traditionellen Märkte in Europa und USA leistet hierbei den geringsten Beitrag. Die dort zu erzielenden Exportpreise sind, gemessen an den nötigen Investitionen für den nachhaltigen ökologischen Anbau, Qualitätsmanagementsysteme und eine bessere soziale Entwicklung, zu gering.

 

Leider werden in diesen Märkten immer schlechtere bzw. billigere Qualitäten nachgefragt. Das steht in keinem gesunden Verhältnis zu den ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen, die von Verbrauchern und Händlern aus diesen Ländern nachgefragt wird.

 

Wir leisten mit unserem Fairbiotea Programm unseren Beitrag zu mehr Qualitätssicherheit, die vom Markt gefordert wird, und zu mehr sozialer Verantwortung im Sinne der Teebauern und der Verbraucher.

Wir versuchen, eine nachhaltige, langfristige und faire Partnerschaft mit unseren Partnern und Teebauern in China zu praktizieren. Das ist ein schwieriger Balance-Akt, weil wir einerseits die Preisforderungen des Europäischen Marktes befriedigen müssen und andererseits deshalb zu wenig Geld für eine konsequentere Entwicklung zur Verfügung steht.

 

Die oben beschriebenen Entwicklungen sind für die im Jahr 2010 extrem gestiegenen Importpreise verantwortlich. Die allgemeinen Preissteigerungen sind mit 30-40% sehr hoch. Weitere Preissteigerungen werden in der Zukunft vermutlich unvermeidbar sein. Aber um auch die öko/soziale Entwicklung für die Teebauern fair zu gestalten, wird mehr als diese Preissteigerungen nötig sein.

 

Hierfür bitte ich um Unterstützung unserer Kunden.”

 

Mit freundlichen Grüßen       

 

Wolfgang Wilhelm

 


 

Heinz-Dieter Gasper und Ursula Stübner

Heuschrecke-Geschäftsleitung

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