Bio-Lobbying in Brüssel

EU Parlament
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Unser Verband „Assoziation für ökologische Lebensmittelhersteller“ (AÖL) lud die Mitglieder in diesem März auf eine Exkursion nach Brüssel ein. Inhalt: Bio! Besuch von Bio-Verbänden und EU-Institutionen.

Wir trafen Kommissions- und Parlamentsmitglieder aus den Bereichen Umwelt und Landwirtschaft. Im Grunde war das gutes Bio-Lobbying, denn wir konnten uns in jeder Konferenz einbringen und die Konflikte darstellen, die die neue EU-Bio-Verordnung für die Bio-Landwirtschaft, Import und Export für EU- und Drittländer mit sich bringt.

Wir waren eine 15-köpfige Reisegruppe und hielten uns 3 Tage in Brüssel auf, nonstop unterwegs. Es war eine intensive, spannende und lehrreiche Reise. Die EU ist eine faszinierende Riesenmaschinerie, sehr ausgefuchst organisiert, um die demokratischen Prozesse zu bewahren – viele politikkulturellen Feinheiten wurden uns erklärt.

 

 

IFOAM ( International Federation of Organic Agriculture Movements)

 

1972 wurde die IFOAM, Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen, in Frankreich gegründet, ausgehend von einem der ersten Bio-Anbauverbänden Nature & Progress. Der Hauptsitz von IFOAM Organics International ist heute in Bonn.

IFOAM ist die Vernetzung von über 100 Ländern und Gebieten im Bereich Öko-Landwirtschaft. IFOAM Organics Europe ist der europäische Dachverband  und hat über 200 Mitgliedsverbände, so wie auch die AÖL.

Themen sind Biodiversität, Klimawandel, Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Gesundheit, Böden, Stärkung der Lebensgrundlagen, nachhaltige Entwicklung. Ihre Vision ist “die breite Einführung von wirklich nachhaltiger Landwirtschaft, Wertschöpfungsketten und Konsum im Einklang mit den Grundsätzen des ökologischen Landbaus.” (www.ifoam.bio). Das Handlungsspektrum reicht von Trainings, Forschung und Projekten weltweit für biologische Anbauweisen bis hin zur Begleitung von politischen und gesetzgebenden Prozessen, wie bei der neuen EU -Bio-Verordnung.

 

Wir wurden von Eduardo Cuoco, Direktor IFOAM Europa, empfangen. Er stellte uns die Arbeit dieses Dachverbandes vor und konzentrierte sich dann auf den EU-Plan “Green Deal”.

Der “Green Deal” ist ein gigantisches Maßnahmenpaket der EU-Kommission, um die EU bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Ein Schwerpunkt ist natürlich die Förderung der ökologischen Landwirtschaft (neben Umwelt, Verkehr, Energie und Konsum). Leider bringt der Angriffskrieg gegen die Ukraine hier auf nationalen Ebenen einen Roll back. In dieser Krisensituation wird gerade viel mit dem Argument der Nahrungsmittel-Versorgungssicherheit verhindert, gestoppt und rückabgewickelt, ohne die Zukunftsfolgen zu berechnen. Weitere EU-Themen unseres Treffens sind die geplante Einstufung der neuen Gentechnik-Verfahren wie Genom Editing (als Nicht-Gentechnik), und das geplante Nachhaltigkeitslabel für Lebensmittel.

 

 

OPTA Europe (Organic Processing and Trade Association)

 

 

 

OPTA (https://opta-eu.org) ist ein kleinerer Verband von Bio-Unternehmen aus 11 EU-Ländern sowie Großbritannien, Schweiz und USA, sowie unterstützende Verbände wie die AÖL, FIBL u.a.. Hier stellt sich OPTA selbst vor:

“Auftrag und Vision

Als Sprachrohr der europäischen Bio-Verarbeitungs- und -Handelsunternehmen besteht die Hauptaufgabe von OPTA darin, den Dialog zwischen den europäischen und internationalen Bio-Verarbeitern und -Händlern zu führen und zu koordinieren und die gemeinsamen Interessen der Mitglieder gegenüber den zuständigen nationalen, europäischen und internationalen Behörden und Akteuren in allen Politikbereichen, die sie betreffen, zu vertreten.

Die OPTA dient ihren Mitgliedern auch als Netzwerkplattform für den Austausch von Informationen, Fachwissen und bewährten Verfahren.

Unsere Vision ist es, zu einem Lebensmittel- und Landwirtschaftssystem beizutragen, in dem der ökologische Landbau die Norm ist, in der EU und darüber hinaus.”

 

Bei unserem Treffen mit OPTA war u.a. das geplante Nachhaltigkeitslabel der EU Thema. In der Diskussion sind der Eco-Score, der die Nährwerte in den Vordergrund stellt, sowie der Planet Score, der auch Umweltauswirkungen berücksichtigt. Beide können irreführend für Verbraucher sein, und benachteiligen biozertifizierte Lebensmittel. Gute Lebensmittel wie Apfelsaft und Olivenöl erhalten eine schlechte Bewertung beim Eco-Score. Der Planet-Score ist letzten Endes effizienz-basiert, d.h. auf Massenproduktion und hohen Hektarerträgen. Bio-Produkte schneiden dabei schlechter ab.

Schwerpunkt bei OPTA ist der Umgang mit Rückständen (Kontaminanten) in Bio-Produkten. Neubewertungen von Stoffen, z.B. durch Forschungserkenntnisse, dass bestimmte Stoffe auch natürlich vorkommen und nicht aus illegaler Anwendung stammen, finden nur sehr spät Eingang in die Durchführungsbestimmungen. Bis dahin sind unzählige Bio-Lebensmittel widersinnig vernichtet.

 

Bio-Lobbying beim Abendessen

 

Unsere AÖL-Gruppe hat die Europa-Parlamentsmitglieder Martin Häusling, Sarah Wiener und Maria Noichl zum Abendessen gebeten. Abgesehen davon, dass es ein sehr schöner und sehr lebendiger Austausch war, haben wir wohl korrekt Bio-Lobbyismus betrieben …

 

 

Bei der EU-Kommission (Besucherzentrum)

 

 

Die Kommission der EU besteht aus Vertretern der 27 Mitgliedsstaaten. Aufgabe: “Die Europäische Kommission ist die politisch unabhängige Exekutive der EU. Sie ist allein zuständig für die Erarbeitung von Vorschlägen für neue europäische Rechtsvorschriften und setzt die Beschlüsse des Europäischen Parlaments und des Rates der EU um.” (https://european-union.europa.eu/institutions-law-budget/institutions-and-bodies/institutions-and-bodies-profiles/european-commission_de). Und sie ist Hüterin der Verträge.

Die Leitung haben die 27 Kommissionsmitglieder inne (incl. Präsidentin, mehrere Vize- und Exekutiv-VizepräsidentInnen, Hohem Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und 18 KommissarInnen). Jede/r vertritt einen bestimmten Politikbereich. Darunter gibt es einen Riesen-Apparat an Bediensteten (JuristInnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen etc., es gibt auch ein Rotationsprinzip), die für die “Generaldirektionen” (GD bzw. DG, z.Zt. 46, vergleichbar den nationalen Ministerien) arbeiten.

Unsere Branche betrifft z.B. die Arbeit der Generaldirektionen AGRI, CLIMA, ENV (Umwelt), SANTE.

 

 

Hier hatten wir drei Vorträge mit anschließendem Austausch: René Steiner aus der Generaldirektion CONNECT (Communications Networks, Content and Technology) erzählte uns, wie die Kommission funktioniert, mit vielen Feinheiten und “Off the records”. Wir bekamen ein Gefühl, wie gut organisiert die EU ist, auch, dass das eine ganz schöne Leistung und nicht selbstverständlich ist. Am Ende unserer Reise haben wir auch verstanden, wie friedensstiftend der Riesenapparat EU ist.

 

Henri Delanghe, Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, referierte für uns über Details zur neuen EU-Bio-Verordnung 2018/848.

Es gibt einige Knackpunkte, über die wir schon oft berichtet haben, z.B. die Rückstandspolitik. Unsere Gruppe konnten Henri Delanghe viele Beispiele aufzeigen, wo die unterschiedliche Rückstandspolitik der EU-Mitgliedsstaaten ungewollt zur Lebensmittelvernichtung von Bio-Produkten beiträgt. Ebenfalls die nicht zeitgemäße Bewertung von Kontaminanten, bzw. die zu langsame Reaktion der Behörden auf neue Forschung. Einer unserer Punkte ist die Ungerechtigkeit, dass biozertifizierte Betriebe die ganzen Kosten tragen für Kontaminationen, die durch die Pestizidindustrie und die anwendenden Agrarbetriebe verursacht werden.

Ein weiterer Punkt: Das Equivalenz-System mit Drittländern wird gerade umgewandelt in ein Compliance-System. Bei einer Gleichwertigkeit werden die ortsspezifischen Gegebenheiten stärker berücksichtigt, bei Übereinstimmung muss alles an die EU ausgerichtet sein. Im Moment laufen die bilateralen Verhandlungen mit den Ländern. Die Landes-Kontrollstellen der Drittländer müssen sich neu von der EU anerkennen lassen.

 

Im Vortrag von Olaf Heidelbach aus derselben GD geht es um den hoch angesiedelten Stellenwert des EU-Green Deal. Ein sehr komplexes Paket mit dem Ziel 25% Ökolandbau in der ganzen EU, dem Klimagesetz mit verbindlicher Treibhausgasreduktion und der Biodiversitätsstrategie bis 2030, und vielen weiteren Maßnahmen mit dem Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050. Für uns speziell wichtig: die Pestizidreduktionsstrategie der EU für besseren Boden- und Gewässerschutz. Unseres Erachtens erleben wir hier die stärksten Blockaden, und wir rechnen damit, dass der Pestizidverbrauch in der EU sogar noch weiter steigen wird. Sarah Wiener fordert deshalb z.B. hohe Steuern auf Pestizide.

 

EU-Parlament

 

Im Parlament wurden wir von “unserem” Parlamentsabgeordnetem Martin Häusling empfangen.

Hier nochmal kurz die Funktion des Parlaments:

Die Parlamentarier werden von allen EU-Bürgern direkt gewählt – das nächste Mal 2024. Das Europa-Parlament sowie der Rat der EU fungieren  als Ko-Gesetzgeber. Die Kommission initiiert und legt Gesetzesvorschläge vor. Parlament und Rat prüfen und legen Änderungsanforderungen vor. Im Trilog werden die Gesetze dann zwischen Kommission, Parlament und Rat abgestimmt. Der bisher längste Trilog war bei der neuen EU-Bio-VO. Daneben kontrolliert das Parlament die anderen EU-Institutionen (demokratische Kontrolle) und den EU-Haushalt.

Im Gespräch mit Martin Häusling geht es um die Regulierung von neuer Gentechnik, mit der er sich gerade beschäftigt: laut einer Studie der EU zum Recgtsrahmen der Gentechnik können Pflanzen durch neue genomische Verfahren (Genschere) so verändert werden, dass sie (sei es durch Klimaanpassung, Pestizidreduktion) zum Green Deal beitragen, Was das Gentechnik-Gesetz verhindern würde – und es deshalb dereguliert werden muss.

D.h. die NGT (Verfahren zur Veränderung eines Genoms, die nach 2001 entstanden sind) sollen deshalb teilweise nicht als Gentechnik gelten (nicht restriktiv reguliert werden). Natürlich ist die Veränderung eines Genoms Gentechnik (so hat es die EU auch noch 2018 selbst klargestellt), die in der Bio-Gesetzgebung explizit verboten ist. Es wird also gerade an einem neuen Gesetz gearbeitet, was in direktem Widerspruch zur einer anderen EU-VO steht. Dennoch ist es gut wahrscheinlich, dass die GMO-VO-Überarbeitung eine Mehrheit findet. Wenn das durchkommt, muss wirklich alles analysiert werden, denn dann ist möglichweise alles verseucht. Bisher ist nicht klar, ob es Analysemethoden dafür gibt. Es kann möglicherweise das Aus für Bio sein, wenn ein Nachweis nicht möglich ist.

 

 

Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der EU

 

Die Ständige Vertretung (im Grunde wie eine Botschaft) vertritt die Interessen der BRD in der EU. Sie vermittelt Inhalte zwischen den deutschen Ressorts und den EU-Institutionen. Wir wurden von Agrarattaché Ernährung und Landwirtschaft, Katharina Neumann empfangen.

Hier ging es nochmal um das Zusammenspiel von Kommission, Parlament und Rat, und wie das hinter den Kulissen funktioniert (wenn z.B. ein German Vote kommt), anhand Beispielen laufender Prozesse, aus den Bereichen Agrarpolitik und Gesundheit.

Außerdem ging es um die Besonderheiten der Nationalregierungen – in den Erzählungen aus dem Nähkästchen konnten wir öfter einen Clash of Culture selbst innerhalb der EU erahnen. Uns fiel auf, dass es viele Ritualisierungen in den Abläufen gibt. Insgesamt erlebten wir eine große Höflichkeit in allen von uns besuchten Institutionen.

 

So, genug erzählt von der kurzen, aber intensiven Brüssel-Reise. Vielen vielen Dank an die AÖL für das Organisieren, dass wir mitdurften und wir vom großen Erfahrungsschatz unsere Verbandes profitieren konnten.

 

 

 

 

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