Am 5.7.23 ist der Vorschlag der EU-Kommission zur (De-)Regulierung der „Neuen Gentechniken“ (NGT) veröffentlicht worden.
Mit den NGT sind Techniken wie Genome Editing und CRISPR/Cas gemeint. Der Gesetzesvorschlag bezieht sich nur auf Pflanzen.
Kurze Erklärung:
Die Neuen Gentechniken werden aufgeteilt in NGT1 und NGT2.
Als NGT1-Pflanzen zählen diejenigen Pflanzen, deren gentechnischen Veränderungen angenommenerweise auch auf natürlichem Weg oder durch konventionelle Züchtung hätten entstehen können. Es darf nur kreuzbares (sexuell kompatibles) Genmaterial herausgenommen und/oder eingefügt werden. Die Menge der veränderten Basenpaare soll auf bis zu 20 begrenzt sein. Für NGT1-Pflanzen wird es zwar ein formales Überprüfungsverfahren, aber keine Risikobewertung und keine Kennzeichnung der Produkte mehr geben. Nur noch das Saatgut wird gekennzeichnet. Es unterliegt dann nicht mehr dem Gentechnikgesetz, sondern wird wie konventionelles Saatgut behandelt.
Zur Kategorie NGT2 gehören alle anderen NGT-Pflanzen mit weitreichenderen Veränderungen. Diese unterliegen dem Gentechnikgesetz.
EU-Kommission pro Gentechnik
Liest man die Verordnungsvorschlag und die Factsheets der EU-Kommission dazu, drängt sich der Eindruck von Gentechniklobbying auf – auf jeden Fall ist die Darstellung einseitig:
„Neue Genomtechniken ermöglichen eine hochpräzise und effiziente Pflanzenzucht. Sie können dazu beitragen die Nachhaltigkeit unseres Lebensmittelsystems durch die Entwicklung verbesserter Pflanzensorten zu erhöhen Sorten, die widerstandsfähiger gegen Dürren und andere Klimaextreme sind, weniger Düngemittel und Pestizide benötigen und zu höheren Erträgen führen.“ (Factsheets der EU-Kommission, PDF ISBN 978-92-68-05244-0)
Und: Der Nutzen von NGT: „…umfasst Pflanzen mit verbesserter Toleranz oder Resistenz gegenüber Pflanzenkrankheiten und Schädlingen, Pflanzen mit verbesserter Toleranz oder Resistenz gegenüber Auswirkungen des Klimawandels und Umweltbelastungen, verbesserte Nährstoff- und Wassernutzungseffizienz, Pflanzen mit höheren Erträgen und höherer Widerstandsfähigkeit sowie verbesserten Qualitätsmerkmalen. Diese neuen Pflanzen und die relativ einfache und rasche Anwendbarkeit dieser neuen Techniken, könnten Landwirten, Verbrauchern und der Umwelt Vorteile bringen. Daraus folgt, dass die NGTs das Potenzial haben, zu den Innovations- und Nachhaltigkeitszielen des Europäischen Green Deal (3) und der Strategien “Vom Erzeuger zum Verbraucher” (4), “Biologische Vielfalt” (5) und “Anpassung an den Klimawandel (6), zur globalen Ernährungssicherheit (7), zur Strategie für die Bioökonomie (8) und auf die strategische Autonomie der Union (9), beizutragen.“ (Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on plants obtained by certain new genomic techniques and their food and feed, and amending Regulation (EU) 2017/625)
Kritik- bzw. Gefahrenpunkte:
„… das entscheidende Argument der (Umwelt- und Bio) Verbände lautet, dass die Anpassung an den Klimawandel ein viel zu komplexes Problem ist, um es technokratisch per Crispr-Cas zu lösen. Zumal Trockenheit nur ein Aspekt des Problems ist und andere extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen oder Stürme hinzukommen. Dieses Argument betrifft übrigens nicht nur den Klimawandel. Aus Sicht der Verbände sind NGT generell nur eine einseitige Antwort auf die Probleme, welche die intensive Landwirtschaft verursacht. Das Ziel sei es, „den auf Leistung und Ertrag fokussierten Anbau unverändert weitertreiben zu können“, schreibt etwa die Schweizer Allianz Gentechfrei: „Anstatt das Problem an den Wurzeln zu packen, behandelt die Agrarindustrie nur Symptome und fördert eine weitere Intensivierung mit Massentierhaltung und Monokulturen“. (https://www.schule-und-gentechnik.de/wissen/themen/gentechnik-und-klimawandel)
Und:
„Kritische Wissenschaftler bezweifeln, ob sich ein von Bakterien abgeschautes System so einfach über biologische Grenzen hinweg übertragen lässt. „Die Zellen von Pflanzen und Tieren sind anders aufgebaut als diejenigen von Bakterien (oder das Erbgut von Viren) und verfügen über andere Regulationsmechanismen. Die Folge könnten ungeahnte und unbeabsichtigte Änderungen der DNA sein“, schreibt etwa das Institut Testbiotech. Es argumentiert, dass die Natur vielfältige Regeln der Genregulierung hervorgebracht habe, die von der modernen Biowissenschaft bei weitem nicht verstanden würden.
Deshalb kommt es auch bei Eingriffen mit CRISPR/Cas zu oft unerwarteten Effekten, Diese werden unterschieden in On-Target-Effekte, die am Ort des Eingriffs ins Erbgut auftreten und Off-Target-Effekte, die weiter entfernte Bereiche des Erbguts betreffen. Diese Effekte können zum Beispiel auftreten, weil die Gen-Scheren nicht so präzise schneiden wie angenommen, weil die Reparaturen ungeplante Ergebnisse bringen oder sich die Gene anders verhalten als geplant. Sie wurden inzwischen in einer Reihe von Veröffentlichungen beschrieben. Aktuelle Beispiele sind:
University of Delaware, ChristianaCare’s Gene Editinig Institute: New tool for rapid analysis of CRISPR reveals frequent, unintended DNA changes (10.12.2019)
Boris V. Skryabin et al: Pervasive head-to-tail insertions of DNA templates mask desired CRISPR-Cas9–mediated genome editing events (Science Advances, 12.02.2020)
Arne H. Smits, Frederik Ziebell et al: Biological Plasticity Rescues Target Activity in CRISPR Knockouts (16.11.2019)
Die Plattform GMWatch hat weitere einschlägige Studien aufgelistet.
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) betont, dass auch kleinste Abweichungen im Genom gravierende Auswirkungen haben können: „Auch einzelne Deletionen oder Insertionen, also das Einfügen oder Entfernen einzelner Buchstaben der DNA, können Organismen stark ändern. Bekannt ist dies bei Erbkrankheiten wie der Sichelzellenanämie, die auf die Änderung einer einzelnen Base zurückgehen können und dennoch eine große Wirkung entfalten.“
Hinzu kommt, dass Untersuchungen im Labor die Wirklichkeit nur bedingt wiedergeben. Denn die Umwelt kann die angebaute Pflanze beeinflusssen und über die Epigenetik deren Genaktivitäten – auch in nachfolgenden Generationen. So können bei den Nachkommen gentechnisch veränderter Organismen neue Eigenschaften auftreten, die in der Elterngeneration nicht beobachtet wurden.
Aus all diesen Gründen fordern agro-gentechnikkritische Institutionen wie Testbiotech eine umfassende Technikfolgenabschätzung für genom-editierte Pflanzen.“ (https://www.schule-und-gentechnik.de/wissen/themen/neue-technologie-crispr-1. Hier findet Ihr auch die Unter-Links)
Weitere Kritikpunkte sind: Verbreitung neuer Allergien, Monopolisierung des Saatguts, Verarmung des Genpools, Patentmissbrauch (Patentierung von Wildpflanzengenen), Entstehung von Resistenzlücken. Dazu kommt, dass die bisherigen gentechnischen Neuzüchtungen äußerst wenig erfolgreich waren.
Konflikt EU-Bio-Verordnung und NGT1:
Die EU-Bio-Verordnung schließt Gentechniken aus! Die NGT gelten nach EUGH definitiv als Gentechnik. Mit der Deregulierung würden NGT1 für die Allgemeinheit nicht mehr als Gentechnik gelten, für den Ökolandbau aber schon. Das verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Sämtliche Beweislasten und deren Kosten, dass NGT1-Saatgut nicht vermischt, verweht oder eingekreuzt wurde, liegt bei den Bio-Landwirten, -Herstellern- und Händlern. Analytisch ist eine Unterscheidung auf längere Sicht nicht möglich.
Was das für Drittlandimporte und den Äquivalenzabkommen mit den Staaten bedeutet, die gegenseitig ihren Biostandard anerkennen (und wo konventionelles Saatgut erlaubt ist), ist noch nicht mal ansatzweise klar. Worst Case kann das Aus von Bio sein.
Bio-Landwirtschaft will immer die Bodenfruchtbarkeit im System erhalten und verbessern. Dieser Ansatz ist ganzheitlich und zukunftsorientiert. Einer Auslaugung des Bodens mit Desertifikation wird so vorgebeugt. Auch hier werden ständig Agrartechniken weiterentwickelt, wie Agroforst und Bodenaufbauende und wasserspeichernde Landwirtschaft, Saatgutzüchtung “samenfeste Sorten”.
Was passiert jetzt:
Der Vorschlag der Kommission ist verabschiedet und liegt bei EU-Parlament und Rat zur Beratung (Trilog). Da aber schon fast Wahlkampfzeit ist – im Juni 2024 sind die EU-Parlamentswahlen – wird es nicht mehr vom jetzigen Parlament bearbeitet. Es ist absehbar, dass das neue Parlament viel konservativer wird (siehe die Rechtsdriften in verschiedenen Mitgliedsländern). Daher ist es wichtig, zu wählen, grün oder links, um diese Flügel zu stärken.
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